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Expertenrunde – Mit nachhaltigen Betonlösungen in die Zukunft

Beton wird es auch in Zukunft brauchen, wir müssen unseren immensen Verbrauch jedoch gründlich hinterfragen. Dies ist die einhellige Meinung in unserer «Expertenrunde». Welche Lösungen bereits im Raum stehen und wie sie die Branche voranbringen, erzählen Pietro Lura (Empa), Simone Stürwald (Fachhochschule OST), Patrick Suppiger (BETONSUISSE) und Johannes Tiefenthaler (Neustark).
Expertentalk Illustration
Pietro Lura, Abteilungsleiter Beton und Asphalt, Empa, und Professor am Institut für Baustoffe, ETH Zürich

Pietro Lura, Abteilungsleiter Beton und Asphalt, Empa, und Professor am Institut für Baustoffe, ETH Zürich

 

Pietro Lura, Sie beschäftigen sich seit über 25 Jahren mit der Weiterentwicklung des Baustoffs Beton. Ist Beton wirklich so schlecht für die Umwelt, wie immer wieder beanstandet wird?

Wenn wir die Betonproduktion gemessen am Volumen anschauen, hat diese im Vergleich zu anderen Baumaterialien keine schlechte Umweltbilanz. Das Hauptproblem liegt in der riesigen Menge, die wir davon produzieren. Dadurch verursacht Beton etwa 8 Prozent der CO2-Emissionen weltweit. Der grösste Teil davon wird bei der Herstellung von Zement verursacht. Etwa zwei Drittel dieser Emissionen sind sehr schwierig zu reduzieren, weil sie aus den Rohmaterialien stammen, die wir unbedingt für die Zementproduktion brauchen, nämlich aus der Kalzinierung von Kalkstein.


Bauen wir schlicht und einfach zu viel?


Das ist eine heikle Frage, denn solange wir Menschen Infrastrukturen und Gebäude zum Wohnen und Arbeiten brauchen, werden wir bauen. Es gehört zu unserer Lebensgrundlage – und viele Länder auf der Welt brauchen dringend Infrastruktur und Wohnraum. Was aber frappant ist und mich nachdenklich stimmt: Wir stehen an einem Wendepunkt. Zum ersten Mal in der Geschichte ist die Menge an von Menschen hergestellten Materialien gleich gross wie die gesamte vorhandene Biomasse der Erde. Und ein Grossteil der von uns fabrizierten Materialien befindet sich in den Bauwerken.


Welche, wenn man an eine Kreislaufwirtschaft denkt, wiederum Rohmaterialien für neue Bauten sein könnten. 


Unbedingt. Bereits verbauter Beton ist «en masse» vorhanden. Und wir haben den Recyclingprozess bereits gut im Griff. Beim Recycling sind wir sogar viel besser als andere Branchen. Dazu kommt, dass man im Recyclingbeton zusätzlich CO2 speichern kann. So zum Beispiel mit der Technologie, die das Start-up Neustark anbietet. 


Woran arbeitet die Empa, wenn es darum geht, einen klimafreundlicheren Beton zu finden?


Wir forschen zum Beispiel an Zementrezepturen, die weniger Klinker beinhalten. Die Herausforderung ist hier: Je weniger Klinker wir haben, desto anfälliger ist die Stahlbewehrung auf Korrosion. Wir testen darum neue Arten von Bewehrungen, etwa Stäbe aus Epoxidharz mit Karbonfasern (CFRP). Diese Materialien sind sehr gut für die Vorspannung von dünnen Betonelementen geeignet, aber auch sehr teuer und ihre eigene CO2-Bilanz muss noch verbessert werden. Wir arbeiten auch an Kompositen mit anderen Fasern, beispielsweise aus Basalt. Diese könnten umweltfreundlicher sein, benötigen aber noch Forschung.


Sie haben weitere, vielversprechende Projekte bei der Empa in Arbeit?


Sehr grosses Potenzial haben zwei unserer aktuellen Projekte. Das eine ist die Herstellung von Zementen auf der Basis von Magnesium. Magnesiumsilikate gibt es auf der ganzen Welt. Überall dort, wo die Gesteine des Erdmantels an die Erdoberfläche gelangen. Und sie sind frei von CO2. Mit bestimmten Typen von Magnesiumzementen können wir eine Festigkeit erreichen, die mit Portlandzement zu vergleichen ist. Leider fehlt aktuell noch der industrielle Prozess, mit dem man Magnesiumoxid und Magnesiumcarbonat aus Magnesiumsilikat in grossen Mengen herstellen könnte. Dies wird wohl keine Lösung für die nächsten 10 bis 20 Jahre sein, aber möglicherweise für später. 


Und welches ist das zweite Forschungsprojekt?


Wir haben herausgefunden, dass wir aus Pflanzenkohle leichte Gesteine herstellen können. Mit Pflanzenkohle arbeiten auch andere Forschungseinrichtung. Die Idee der Herstellung von Gesteinen ist aber komplett neu. Und sie ist verblüffend gut. Denn dieses Gestein ist in der einer Mischung für Leichtbeton genauso gut wie herkömmliche Gesteinskörnungen. Wir machen also keine Abstriche bei der Qualität, binden aber grosse Mengen an CO2


Insgesamt geschieht enorm viel Positives. Wo sind die Stolpersteine? 


Die Materialproduktion ist das eine, die Konstruktion das andere. Ganz allgemein wird Beton bei uns in Mitteleuropa für viele Anwendungen überdimensioniert verwendet. Bauherren, Architekten und Planer verbauen viel mehr und viel besseren Beton, als sie eigentlich bräuchten. Und dies, weil die Arbeit der Menschen bei uns mehr kostet als das verwendete Material. Beton ist viel zu billig erhältlich und wird darum oft verschwendet. Das CO2 müsste einen höheren Preis bekommen.


Eine Variante wäre, mehr auf die Vorfabrikation zu setzen. Im Werk entstehen Betonbauteile unter kontrollierten Bedingungen und die Hersteller können die Betonqualität – inklusive Zementgehalt – genau auf die Betonbauteile abstimmen. Man hat eine höhere Flexibilität, bessere Qualitätskontrollen und man kann schlussendlich sehr viel Material einsparen. 


Welches Potenzial sehen Sie in der Wiederverwendung von Betonkonstruktionen?


Aktuell ist es bei einem Gebäudeabbruch noch sehr schwierig herauszufinden, wie robust das Material bei einer Wiederverwendung noch wäre. Wenn wir aber die Wiederverwendung von Fertigteilen weiterdenken, müsste man bereits beim Design und bei der Planung ein System konstruieren, das später wieder auseinandergenommen und andernorts wiederaufgebaut werden könnte. 


Es scheint, dass Sie bei fast allen Lösungen auch ein grosses «Aber» sehen?


Ja leider. Es gibt keine ultimative Lösung. Und es gibt keine einfache Lösung. Ganz auf Beton zu verzichten, ist ebenfalls keine Option. Das Material ist zu gut, zu stabil und zu dauerhaft, als dass es eine valable Alternative gäbe. Das heisst, wir brauchen viele, parallele Ansätze, die zusammen die grosse Wirkung erzielen. 


Mehr zu den Projekten der Empa


Simone Stürwald, Professorin für Bauingenieurwesen, OST – Ostschweizer Fachhochschule

Simone Stürwald, Professorin für Bauingenieurwesen, OST – Ostschweizer Fachhochschule

Simone Stürwald, wenn Sie dem Baustoff Beton in Bezug auf seine Nachhaltigkeit klassieren müssten, wo würde dieser stehen?

Beton ist der meistverbrauchte Baustoff der Welt und steht damit für einen grossen Ressourcenverbrauch. Er ist klimatechnisch eher problematisch, weil er aufgrund der vorgelagerten Zementherstellung hohe CO2-Emissionen hat. Unser grösstes Problem ist, dass wir den Beton als Massenbaustoff verwenden. Wir verbrauchen viel zu viel davon. Das müssen wir besser machen.

Welche Vorteile von Beton könnte man ausnutzen, um es besser zu machen?

Ein grosser Vorteil von Beton sind seine Dauerhaftigkeit und seine technische Langlebigkeit. Was man ebenfalls ausnutzen kann, gerade wenn es um den Materialverbrauch geht: Man kann Beton giessen und damit die Form optimieren.

An welchen Lösungen forschen Sie an der Fachhochschule OST?

Wir haben ein Programm lanciert, das auf der Basis von künstlicher Intelligenz arbeitet. OptimiX sammelt Daten von hunderten von Beton- und Fertigteilwerken und rechnet aus vorhandenen Rezepturen und aus den Ergebnissen aus der Betonprüfung aus, welche Rezepturoptimierungen die Produzenten leisten können, ohne bei den technischen Anforderungen Abstriche zu machen. Erfreulich dabei: es führt für die Produzenten sogar zu Kosteneinsparungen.

Wieviel Material kann man effektiv mit OptimiX einsparen?

Wir haben verschiedene Versuche zur Rezepturoptimierungen gemacht, auch in Zusammenarbeit mit CREABETON. Die Erfahrung zeigt, man könnte bei den Rezepturen 10 Prozent, zum Teil sogar bis 25 Prozent Zement einsparen.

Das zweite aktuelle Projekt der OST heisst KLARK. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

KLARK zielt darauf ab, den CO2-Ausstoss des Zementes durch Pflanzenkohle zu kompensieren, die wir dem Beton beimischen. Das jetzige Produkt erfüllt die Eigenschaften für Hochbaubeton, für weitere Sorten müssen noch weiter forschen. Aber wir können bereits jetzt auch Vorteile sehen. So nimmt die beigemischte Pflanzenkohle beispielsweise Feuchtigkeit auf und kann es beim Abbindeprozess regulierend wieder abgeben.

Wir sind in der Nachhaltigkeitsdiskussion oft auf unsere unmittelbare Umgebung fokussiert. Um Ihren Horizont zu öffnen, haben Sie mehrere afrikanische Länder bereist. Haben Sie dort Erkenntnisse in Bezug auf das nachhaltige Bauen gewonnen, die uns hier im reichen Norden von Nutzen sein könnten?

Natürlich wird in den aktuell entstehenden Megastädten in Afrika sehr vieles konventionell gebaut. Und das ist nicht unbedingt nachhaltig. Aber es wird – auch aus der Not heraus – viel ressourcenschonender gebaut als bei uns. Ich denke hier zum Beispiel an die Wiederverwendung von Bauteilen. In den Ländern, die ich bereist habe, nimmt man, was man findet. Das hat mir aufgezeigt, dass es auch uns guttäte, uns rückzubesinnen, um wieder bewusster mit unseren natürlichen Ressourcen umzugehen. Meine Reisen haben mir zudem viele Möglichkeiten im LowTech-Bereich aufgezeigt, die ich für meine weitere Forschung spannend finde.

Welches Potenzial gibt es in der Schweiz für mehr Wiederverwendung?

Das grösste Potenzial liegt im bewussten Planen und Bauen von Betonbauteilen. Es gibt in diesem Bereich spannende Ansätze, mit denen wir uns vermehrt auseinandersetzen sollten. Beim Recycling hingegen, können wir schon jetzt sehr stolz auf uns sein. In der Schweiz haben wir in diesem Bereich zirka 15 Jahre Vorsprung gegenüber unseren Nachbarländern.

Welche grösste Herausforderung haben wir zu meistern, um auch im Baubereich klimaneutral zu werden?

Können wir im Baubereich klimaneutral werden? Hinter diese Aussage würde ich ein grosses Fragezeichen setzen. In den letzten Jahren ist zwar viel Neues entstanden. Der Grossteil der Menschen baut aber noch immer konventionell. Entweder schrecken sie vor den Kosten zurück, oder sie zweifeln die Qualität der neuen Produkte an. Es herrscht aktuell noch eine grosse Unsicherheit.

Wie kann man diese Menschen von der Qualität der neuartigen Produkte überzeugen?

Wenn das Konzept gut ist, muss nachhaltiges Bauen nicht unbedingt teurer werden. Das wäre eine meiner Botschaften. Aktuell sind vor allem die sogenannten «Early Adopters» gegenüber unseren neuen Lösungen offen. Es braucht sicher noch etwas Zeit, bis die vorhandenen Anwendungen zur grossen Masse vorgedrungen sind. Diesen Prozess würden wir natürlich gern beschleunigen. Wir müssen uns aber vor Augen halten: Unsere Bauwerke sollen für die nächsten 50 bis 100 Jahre halten. Von daher: Natürlich müssen die Lösungen am Markt verfügbar sein und wir müssen Bauherren und Architekten dazu bringen, sie einzusetzen. Gleichzeitig sollten neue Produkte soweit erforscht sein, dass eine entsprechende Lebensdauer garantiert werden kann – sonst kehrt sich die Ökobilanz schnell.

Mehr zu den Projekten der Fachhochschule OST

Patrick Suppiger, Geschäftsführer BETONSUISSE

Patrick Suppiger, directeur de BETONSUISSE

Patrick Suppiger, wie steht der Baustoff Beton in Bezug auf seine Nachhaltigkeit aktuell da?

Ein nachhaltiger Baustoff sollte Kreislaufqualitäten aufweisen und langlebig sein. Beton erfüllt diese Eigenschaften. In der Schweiz wird Betonabbruch zu 85% rezykliert. Beton kann somit am Ende der Lebensdauer eines Bauwerks mehrmals für das Erstellen neuer Bauwerke wiederverwertet werden. Erhebliche Fortschritte haben sich auch in den Bereichen Zement, Betonrezepturen und Innovationen ergeben.

Wie kann Beton (noch) nachhaltiger werden?

Indem man innovative Herstellungsverfahren einsetzt, die den Energieverbrauch reduzieren und den CO2-Ausstoss minimieren. Dies könnte beispielsweise durch die Verwendung von alternativen Bindemitteln erreicht werden. Zusätzlich ist die Weiterentwicklung von recyclingfähigen Betonmischungen entscheidend. Schliesslich sollten Bauherren vermehrt auf langlebige Designs setzen. Das bedeutet mitunter, nutzungsflexibler bauen und Materialien und Systeme trennen, damit Nutzungsänderungen auch nach mehreren Jahrzehnten einfach möglich sind. Flexible Tragstrukturen mit wenigen Stützen ermöglichen eine Anpassung der Raumkonzepte während der Nutzung, was die Lebensdauer und damit die Nachhaltigkeit von Bauwerken verlängert.

Trotzdem hat Beton nach wie vor eher einen schlechten Ruf?

Zu Unrecht, bin ich der Meinung. Beton ist ein wichtiger und unverzichtbarer Baustoff für den Hochbau, die Infrastruktur und andere Bauprojekte. Seine einzigartigen Eigenschaften sind unersetzlich. Auch in Kombination mit anderen Baustoffen ist Beton hervorragend geeignet.

Wenn Sie von Kombinationen sprechen: Was wäre die perfekte Formel?

Die gibt es nicht. Jeder Baustoff hat seine Vor- und Nachteile, und man muss die Materialien so einsetzen, dass sie zusammen die beste Leistung für das jeweilige Projekt erzielen. Es gibt in der Baubranche kein «One-fits-all».

Die meisten Gebäude werden lange vor dem eigentlichen Ende des Lebenszyklus’ wieder abgebrochen. Welche Strategie könnte man verfolgen, um Bauwerken ein längeres Leben zu ermöglichen?

Die Verwendung hochwertiger, langlebiger Materialien und Bauteile kann die Lebensdauer eines Gebäudes erheblich verlängern. Dazu sollten Neubauten so konzipiert werden, dass sie sich an veränderte Bedürfnisse und Nutzungen anpassen können. Statt Gebäude abzureissen, sollten wir sie, wenn möglich umnutzen. Dies erfordert jedoch eine Kreativität beim Konzept: Architekten und Ingenieure müssten bei der Planung und dem Bau den gesamte Lebenszyklus des Gebäudes mitdenken. Die Integration von Nachhaltigkeitsprinzipien in den Bauprozess, wie die Verwendung von recycelten Materialien und energieeffizienten Technologien, kann die Langlebigkeit von Gebäuden zusätzlich erhöhen. Und sie reduziert gleichzeitig weitere Umweltauswirkungen.

Laufen damit die produzierenden Firmen nicht Gefahr, in Zukunft weniger verdienen zu können?

Diese Gefahr ist gering. Wir haben einen erhöhten Wohnungsbedarf und wir müssen im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung vermehrt Sicherheiten schaffen, etwa gegen Hochwasser oder Murgänge. Der Bedarf an Bauleistungen wird nicht einfach aufhören.

Als BETONSUISSE haben Sie den Beton-Faktencheck herausgegeben, der aufzeigt, dass der Baustoff in Punkto Nachhaltigkeit gar nicht so schlecht dasteht. Ist Beton im Endeffekt sogar nachhaltiger als zum Beispiel Holz?

Beton kann in vielen Fällen eine nachhaltige Wahl sein, insbesondere wenn wir die Eigenschaften wie Langlebigkeit, Kreislauffähigkeit, kurze Transportwege und eine lokale Wertschöpfungskette in der Schweiz berücksichtigen. Die Entscheidung zwischen Beton und Holz hängt jedoch von verschiedenen Faktoren und spezifischen Anforderungen ab.

Beton zeichnet sich durch seine Langlebigkeit aus, was bedeutet, dass Gebäude und Infrastruktur lange halten und weniger häufig ersetzt werden müssen. Seine Fähigkeit zur Wiederverwendung können die Umweltauswirkungen minimieren. Dennoch ist es wichtig zu beachten, dass Holz, wenn es aus nachhaltig bewirtschafteten Quellen der Region stammt, ebenfalls umweltfreundlich sein kann.

Die Wahl zwischen Beton und Holz sollte daher von Projekt zu Projekt und unter Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen getroffen werden. Das Ziel sollte darin bestehen, die richtigen Baustoffe an den richtigen Stellen einzusetzen.

Welche Hebel gibt es für BETONSUISSE, um Beton als nachhaltigen Baustoff zu promoten?

Wir fokussieren stark auf den Wissenstransfer und bringen die Branche zusammen: Produzenten, Ingenieure und Architekten. Ausserdem unternehmen wir viel, um der jungen Generation an den Hochschulen aufzuzeigen, welche guten Lösungen und guten Beispiele bereits auf dem Markt sind.

Mehr zur Organisation BETONSUISSE

Johannes Tiefenthaler, Gründer und Co-CEO, Neustark

Johannes Tiefenthaler, Gründer und Co-CEO, Neustark

Johannes Tiefenthaler, Sie haben sich bereits im Studium intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt und sind auf den Baustoff Beton gestossen. Warum gerade Beton?

Ich wollte einen nennenswerten Klimaimpact generieren. Somit suchte ich nach Möglichkeiten, wie man CO2 in grossem Massstab binden könnte. Es musste eine Lösung sein, auf deren Basis ich später ein skalierbares Business aufbauen könnte. Beton ist ein exzellentes Material. Es wird massenhaft produziert und wir verfügen weltweit über Gigatonnen von Betonabbruch aus dem Rückbau. Und die Betonindustrie ist schon länger sehr gut im Recycling dieses Materials. Das heisst, es war eine Wertschöpfungskette vorhanden, an die ich anknüpfen konnte.

Worauf basiert die Lösung von Neustark?

Es gibt wenige Materialien, die CO2 permanent binden können. Neben Schlacken und Aschen ist das zum Beispiel Zementstein. Und dieser ist im Recyclingbeton vorhanden. Zementstein besitzt eine reaktive Komponente, die das CO2 aufnimmt und in Kalkstein verwandelt. Das ist die permanenteste Form der CO2-Bindung. Und eine besonders ökologische: auch die Eigernordwand oder der Alpstein bestehen zu einem grossen Teil aus Kalkstein.

Wie aber bringen Sie das CO2 und den Zementstein zusammen?

Wir bringen das Recyclingmaterial aus dem Betonabbruch und das CO2, das wir aus der Atmosphäre filtern, in einem Container unter Luftabschluss zusammen. Die Reaktion erfolgt in dieser Reaktionskammer automatisch.

Wie haben Sie es schliesslich geschafft, ihre Lösung als Geschäft auszurollen?

Wir besitzen eine Schlüsseltechnologie. Als Stand-Alone-Lösung hat diese jedoch keinen Wert. Wir mussten sie in die Lieferkette integrieren. Das heisst, der Betonproduzent besitzt die Recyclinganlage, die Biogasanlagen das CO2, das ohne uns in die Atmosphäre entweichen würde. Wir schalten uns dazwischen, fangen das CO2 bei der Biogasanlage ab, verflüssigen es und transportieren es zum Betonwerk, wo wir den Speicherungsprozess durchführen. Dabei stossen wir in der Branche auf offene Ohren. Denn alle Akteure sind bestrebt, ihren Teil beizutragen.

Gemäss Ihrer Website haben Sie bisher fast 500 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt. Die Schweiz stösst pro Jahr 45,2 Millionen Tonnen CO2 aus. Ist Ihre Lösung nicht einfach ein Tropfen auf den heissen Stein?

Das ist eine berechtigte Frage. Wir sind aber erst am Anfang des Roll-Outs. Wenn wir vorausblicken und ausrechnen, wie viele Emissionen die Schweiz auch 2050 noch ausstossen wird, weil sie nicht durch andere Massnahmen reduziert werden konnten, landet man bei einer Zahl von zirka 7 Millionen Tonnen. Mit dem Rückbaubeton in der Schweiz hätten wir das theoretische Potenzial bis 2050 2,5 Millionen Tonnen zu binden Diese Industrie steht noch ganz am Anfang und wird definitiv wachsen. Aber es ist natürlich so, dass wir mit unserer Lösung allein das Problem nicht lösen können.

Für Ihre Lösung brauchen Sie Recyclingbeton. Und dieser wird noch nicht klimaneutral produziert. Ist dies nicht ein Paradox?

Beton ist ein hervorragendes Material, das wir auch in Zukunft für den Bau brauchen werden. Es gibt vorerst keine skalierbare Alternative. Und gerade auch im Zusammenhang mit dem Netto-Null-Ziel werden weitere Infrastrukturbauten aus Beton notwendig sein. Das heisst, Beton wird definitiv Teil der Netto-Null-Welt sein, nur eben emissionsfrei produziert.

Was also sollte die Branche unternehmen, um ihrerseits zur Lösung beizutragen?

Die Zementindustrie kann nur mittels Abscheidung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS) eine CO2-Neutralität erreichen. Insbesondere die Speicherung von CO2 im Untergrund nimmt hier eine wichtige Rolle ein. Gleichzeitig gäbe es sicher Potenzial bei der eigentlichen Produktion, den Rezepturen von Zement und Beton, und beim Bauen selbst. Es ist aber unrealistisch, solche Lösungen in der notwendigen Geschwindigkeit weltweit auszurollen. Auch deshalb erachte ich die CO2-Speicherung als einzige schnell umsetzbare Lösung.

Ist das Lagern im Untergrund nicht einfach eine Verschiebung des Problems auf später?

Es gibt bereits jetzt CO2 im Untergrund, das seit Millionen Jahren dort lagert. Die Speicherlösung nutzt poröse Schichten im Erdreich, die gegen oben undurchlässig sind. Im Untergrund bleibt das CO2 hängen und mineralisiert sich im Verlauf der Zeit. Ich erachte diese Form der Endlagerung als die beste Option, wenn Emissionen nicht vermieden werden können. Und es gibt viele Bereiche, wo das nicht vollumfänglich möglich ist, wie zum Beispiel in der Zementindustrie.

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